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INTERIEUR

ES WAR IMMER DER GÜRTLER!

Entschuldigung, der was …?
Na, der Gürtler, Sie wissen schon, der krasse Kerl, der sogar Metall biegen kann, ein ganz spezieller Bursche. Noch nie gehört? Dann werden Sie ihn und seine Tatwerkzeuge jetzt kennenlernen …

Hier ein erster sachdienlicher Hinweis: Seinesgleichen gab es schon vor Hunderten von Jahren. Gürtler ist ein anerkannter Handwerksberuf, der bereits im frühen Mittelalter ausgeübt wurde, damals vermutlich sogar häufiger als heute. In Deutschland gibt es nur noch wenige Gürtler und unseres Wissens keinen zweiten, der kann, was dieser hier vermag: bravourös Licht ins Dunkel bringen. Er arbeitet mit Fräse, Lötkolben, Schleifmaschine und Schweißbrenner, doch das schärfste Werkzeug ist sein Gehirn: Immer wieder muss er neue Lösungswege für unsere eigenwilligen Anliegen ersinnen. Wie bringt man einen 350 Kilogramm schweren Flugzeugheber zum Strahlen? Wie wird aus einer 150 Jahre alten Schneidemaschine mit Hand-kurbel eine einzigartige Stehleuchte? Und wie, verflixt und zugenäht, verwandelt sich eine dreieinhalb Meter lange, massive Wagenachse aus altem Eichenholz und solidem Stahl in eine eindrucksvolle Hängelampe?

Und das ist nur eine kleine Auswahl der Spezialaufträge, mit denen wir den kunsthandwerklich begabten Meister-Gürtler aus dem Hamburger Norden zu Höchstleistungen motivieren. Oft schleppen wir auch mannshohe Porzellan- oder zentnerschwere Glasgefäße an, aus denen unvergleichliche Leuchten mit handgefertigten Lampenschirmen entstehen sollen. Bei Mario Hahlweg sind wir damit immer willkommen. Wo andere verzagt den Kopf schütteln, erscheint bei ihm ein Glitzern in den Augen – je komplizierter es wird, desto begeisterter geht er ans Werk.

Wenn der Gürtler der Täter ist, ist die Werkstatt der Tatort. Das Schöne: Die „Opfer“ sind nicht bedauernswert, sondern erstrahlen in neuem Glanz

Wie gut, dass er nicht nur mit Expertise und Tatkraft, sondern auch mit unerschütterlicher Zuversicht gesegnet ist. Denn oftmals sind die Korpusse, die wir ihm zu treuen Händen überlassen, wertvolle Einzelstücke. Da erfordert es neben Fingerspitzengefühl und exzellenter Materialkenntnis auch eine große Portion Selbstvertrauen – denn natürlich stellen Glas und Porzellan besondere Anforderungen und quittieren uncharmante Annäherungsversuche mit reflexhafter Sprunghaftigkeit.

Und auch massive gusseiserne Konstruktionen können beim ungestümen Kontakt mit Schneidbrenner und Co. irreversiblen Schaden nehmen. In vielen Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit ist es dazu allerdings noch nie gekommen – was unseretwegen gerne so bleiben darf.

Eng an Marios Seite wirken und werkeln zwei weitere Spezialisten: sein fester Mitarbeiter Thomas, der sich in der bestens ausgestatteten Werkstatt austoben darf, und seine Schwester Maja, die in einem anderen Gebäudeteil über ein eigenes Reich voller Spezialwerkzeuge für die Lampenschirmfertigung herrscht. Mit umwerfender Akkuratesse fertigt sie die zum jeweiligen Korpus passenden Häupter der Leuchten. Die Form, die Größe, die Neigung, die Bespannung – alles entsteht exakt nach unseren Wünschen und unter Verwendung edelster Materialien wie zum Beispiel Stoffen von Jab Anstoetz oder Tapeten von Pierre Frey. Bei beiden ist der Meter oftmals nur für einen dreistelligen Betrag erhältlich, und ein Meter reicht bei unseren Objekten hinten und vorne nicht, von oben ganz zu schweigen. Aber keine Frage, der Aufwand lohnt sich. In Optik und Haptik sind die Unterschiede sofort erkennbar, und natürlich hat die besondere Qualität auch in puncto Langlebigkeit die Nase vorn: So eine Leuchte darf gerne ganze Jahrzehnte erhellen und sollte auch ein gelegentliches Abwischen mit einem feuchten Tuch anstandslos überstehen.

GUT ZU WISSEN

Wir müssen alle den Gürtler enger schnallen
… oder doch den Gürtel? Beide haben denselben Wortstamm und gehen zurück auf das mittelhochdeutsche „Umgürten“. Welcher Umfang dabei umschlossen wird, war vermutlich von jeher Nebensache. An Tatkraft jedenfalls mangelte es den Gürtlern noch nie: 1329 streikten sie in Breslau ein gesamtes Jahr lang, um sich dann im 15. und 16. Jahrhundert als Hersteller von Chatelaines beliebt zu machen. Die dekorativen Anhänger, mit deren Hilfe sich Uhren und Schmuck an der Kleidung befestigen ließen, waren besonders in der Damenwelt begehrt. Ob selbiges für die Gürtler galt, ist nicht überliefert.

Apropos „Aufwand“: Wir haben vorsichtshalber nicht mitgezählt, denn vermutlich haben wir zwischenzeitlich mehrere Wochen damit zugebracht, stapelweise Musterbücher für erlesene Stoffe und Tapeten zu inspizieren, immer auf der Suche nach dem einen, dem hundertprozentig passenden, dem „Das-ist-es“-Design für den jeweiligen Korpus. Speziell bei unseren hochgewachsenen Bodenleuchten aus veredeltem Steingut raufen wir uns zuweilen die Haare (jeder die seinen, und nur soweit vorhanden). Manche der von uns auserwählten Gefäße glänzen mit derart eigenwilligen Mustern, dass dazu passende Bespannungen für die Schirme wahrlich nicht einfach zu finden sind. Und selbstredend müssen nicht nur die Farbwelten harmonieren, auch das „Gewicht“ der Machart und des Musters spielt eine Rolle. Während ein kräftig-dunkles Gefäß von einem zart besaiteten Schirm nicht gerade ins rechte Licht gerückt wird, vermag ein dichtgewebter, wuchtiger Schirm einen eleganten Korpus erbarmungslos in den Schatten zu stellen. Es ist vermutlich wie im echten Leben: Bei den einen ist es Liebe auf den ersten Blick, bei den anderen dauert es eben, bis der passende Partner gefunden ist … Hauptsache, am Ende sind alle glücklich.

Für uns ist und bleibt es zudem ein unvergleichliches und zugleich herausforderndes Vergnügen, immer wieder nach historischen Industrie-Bauteilen mit einzigartigem Leuchten-Potenzial Ausschau zu halten. Vom altgedienten Maschinenuntergestell über die Gasoline-Doppelpumpe mit original Zapfhahn oder den vielbeschnupperten Hydranten bis hin zur mehr als hundert Jahre alten Walze aus einer Großwäscherei: Vieles offenbart seine verborgene Schönheit erst auf den zweiten oder gar dritten Blick (und nach einer sorgsamen Säuberung). Nach Klärung der optischen Eignung muss die nächste Hürde genommen werden: die technische Tauglichkeitsprüfung. Ist der Korpus belastbar genug? Lässt er sich überhaupt bearbeiten? Eine Kabelführung durch eine unterarmdicke Schicht aus massivem Metall kann durchaus zur Herausforderung werden. Im Zweifelsfall senden wir von wo auch immer wir in der Welt gerade unterwegs sind ein paar verwackelte Schnappschüsse an den Gürtler unseres Vertrauens; und so gut wie immer dürfen wir unser jeweiliges Fundstück dann bald darauf in seine Obhut übergeben.

Am Ende kriegen wir sie alle unter die Haube – aber ob diese rund oder oval, zylindrisch oder trapezförmig ist, welche Textur, welches Design und welchen Innenausschlag sie hat, das alles will jedes Mal wohlüberlegt sein

Unsere Schätze liefern wir grundsätzlich persönlich ab. Zum einen, weil es immer wieder faszinierend ist, in Marios Tüftler-Welt einzutauchen. Zum anderen, weil wir bei jedem einzelnen Stück en détail erläutern wollen, wie wir uns das Endprodukt vorstellen und dann gerne Marios Ausführungen lauschen, wenn er uns den Weg dorthin beschreibt. Außerdem ist er einfach ein total netter Typ. Je nach Komplexität der Aufgabe und der noch zu beschaffenden Materialien dauert es durchaus eine Weile, bis das Werk schließlich vollbracht ist. Aber das Warten lohnt sich immer – spätestens, wenn wir das Ergebnis begutachten und feststellen dürfen, dass Mario unsere Erwartungen mal wieder übertroffen hat, können wir bezeugen: Jawoll, der Täter war eindeutig der Gürtler, wie schön!

GUT ZU WISSEN

Wie der Papa, so der Sohn. Und die Tochter
Vor mehr als 50 Jahren wurde der Grundstein gelegt: Papa Dieter Hahlweg machte sich als Gürtler selbstständig, in einer Garage, wie es sich für innovative Unternehmen gehört. Inzwischen hat das Unternehmen expandiert, aber einige der ersten Werkzeuge sind noch immer im Einsatz. Der Papa nur noch ganz selten, dafür aber seine beiden Kinder: Mario als Gürtler, Maja als „Schirmherrin“. So darf es gerne noch eine ganze Weile weitergehen …

Meister Mario: Lichtgestalt(er) mit leichtem Schatten. Das macht ihn so sympathisch